Weißer Barolo!? Viele werden jetzt die Stirn runzeln und mit einem gewissen Recht anmerken „Es gibt keinen weißen Barolo!“ Und den ersten April haben wir auch nicht. Aber höret, auch wenn es noch so unwahrscheinlich erscheinen mag, so muss ich Euch erwidern „Und es gibt ihn doch!“. Lasset mich also den Beweis antreten.
Vor einiger Zeit begann ich mich intensiv mit dem Thema „Gereifte Barolos“ auseinanderzusetzen. Junger Barolo steht in meiner Wertschätzung schon seit längerer Zeit ganz oben und was jung so gut ist, kann im reifen Zustand zumindest nicht schlecht sein. Ich habe mich folglich bei mehreren seriösen Quellen auf die Suche nach geeigneten Weinen anerkannter Produzenten aus hervorragenden Jahrgängen der 40er und 50er Jahre begeben. Dabei ist mir folgendes aufgefallen: Manche Weine, speziell aus den absoluten Spitzenjahrgängen 1947 und 1958, hatten – zumindest soweit man das durch das Glas der Flasche sehen konnte – eine wasserklare Farbe und ein massives Depot in Form von Hobelspänen von einigen Zentimetern Höhe. Der kundige Weintrinker (und zu Beginn auch ich) würde nun daraus schließen, dass diese Weine hinüber und von solchen Flaschen tunlichst die Finger zu lassen wären. Da mich solche höchst seltsamen Phänomene andererseits auch wieder anspornen den Dingen auf den Grund zu gehen, habe ich dennoch einige der genannten Flaschen erworben.
Beim Öffnen war erstaunliches zu bemerken. Es floss nämlich echter Weißwein aus der Flasche. Sämtlicher roter Farbstoff war offensichtlich ausgefallen und hatte sich in das hobelspanartige Depot verflüchtigt. Auch war es keinesfalls so, dass die weiße Flüssigkeit untrinkbar gewesen wäre. Ganz im Gegenteil – es handelte sich bei allen geöffneten Flaschen um einen höchst charaktervollen, mit seiner oxidativen Stilistik und seinen Nuss- und Salznoten an einen hochwertigen Manzanilla-Sherry erinnernden Inhalt, bei dem gelegentlich auch gewisse Apfelnoten festzustellen waren. Das Ergebnis im Glas hat zwar mit Barolo auch nicht mehr annähernd etwas zu tun, aber das Geschmackserlebnis ist außergewöhnlich und man kann solche Weine durchaus in eine 90-Punkte-Kategorie werten.
Um das typische Geschmacksprofil dieser „White Barolo“ näher zu beschreiben, hier zwei repräsentative Verkostungsnotizen:
In der Flasche wasserklar, im Glas strohgelb und in der Nase reiner Manzanilla-Sherry. Florhefe!?, Apfelschalen, (Wall-)Nüsse, ein wenig Kaffee und Alterssüße, etwas Salz sowie eine im Untergrund mitschwingende rauchige Mineralität. Am Gaumen setzt sich die klare Manzanillastilistik nahtlos fort. Guter mittlerer Körper, kein Tannin mehr, unterstützende Säure, leicht cremige Textur, sehr deutlich Nüsse – speziell Haselnüsse und Wallnüsse -, dezente Salznoten und oxydative Tendenzen. Keinerlei Firn! Die ganze Farbe und das ganze Tannin liegt in Hobelspänen zusammengeklumpt unten in der Flasche. Das hat mit Barolo zwar nichts mehr zu tun, jedoch lässt sich der Inhalt noch mit Genuss trinken und wird auch noch länger in dieser Form stabil bleiben. Als Weißwein/Sherry bewertet sehr gut bis hervorragend. Da tun sich die allermeisten klassischen (echten) Sherrys schon schwer dagegen. Ein perfekter Demonstrationswein zum Thema White Barolo.
16,7 / 90 Punkte
Giacomo Conterno, Barolo Riserva, 1950
Als Beispiel für das White-Barolo-Phänomen geöffnet. In der Flasche wasserklar, im Glas strohfarben. Hat seine komplette rote Farbe verloren, die sich als hobelspanartiger Schmodder unten in der Flasche befindet. Sherryartiges Bukett mit reifem Apfel, zarten Salzaromen und einer apfelartige Fruchtsüße. Zeigt echte Komplexität, ist aber auch ein klein wenig flüchtig. Kommt auch am Gaumen wie ein Top-Sherry daher. Mittlerer bis voller Körper, balancierte Säure, wieder viel reifer Apfel, Mandeln, Wallnüsse, etwas Rancio und ein Hauch Salz. Mehr als kurios und als Barolo natürlich auch nicht im Ansatz erkennbar, muss der Wein absolut gesehen dennoch mit einem „Sehr Gut“ bewertet werden.
13,5 % A. Füllstand: ca. 6,5 cm. Wasserklare Farbe.
16,3 / 89 Punkte
Und die Moral von der Geschicht: Weißer Barolo existiert doch! (auch wenn er einmal rot gewesen ist).
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